Beton und Biotop

 

"Topiaria Helvetica", von der Schweizerischen Gesellschaft für Gartenkultur (SGGK) herausgegeben, hat sich über die Jahre von einem Mitteilungsblatt zu einem Jahrbuch gewandelt. Im Vordergrund steht jeweils ein thematischer Schwerpunkt der Gartenkultur.

Das vorliegende Jahrbuch 2016 widmet sich unter dem Motto "Beton und Biotop" den 1960er- und 1970er-Jahren und somit zwei Jahrzehnten der jüngeren Garten(kunst)geschichte. Wie die Redakteure im Vorwort festhalten, besitzen die meisten der Gärten dieser Zeitspanne in der breiten Öffentlichkeit keinen Denkmalwert, und stehen in den seltensten Fällen auch tatsächlich unter Denkmalschutz. Zu bedenken ist auch, dass in jener Zeit - wie der Titel der Broschüre schon andeutet - die Moderne (versinnbildlicht durch den Werkstoff Beton) mit dem aufkommenden "Naturgarten" (versinnbildlicht durch den Begriff Biotop) um Aufmerksamkeit kämpft. Die Beiträge sollen dieses Spannungsfeld sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzeigen.

Im Eingangsbeitrag spannt Annemarie Bucher einen Bogen von den Wirtschaftsboomjahren zum Aufkommen der Ökologiebewegung, die die Etablierung des "Naturgartens" zur Folge hatte. Sie zeigt die damaligen Umbrüche im Umgang mit Landschaft und Garten auf. Die Beiträge von Johannes Stoffler über den Gartenarchitekten Willi Neukom (1917-1983), von Claudia Moll über den (Garten-)Architekten Eduard Neuenschwandner (1924-2013) und von Anette Freytag über die Wohnsiedlung in Niederhasli (1972-1975) zeigen an konkreten Akteuren und Arbeiten die Ansätze und Herangehensweisen in der damaligen Landschaftsarchitektur. Bernadette Blanchon beschäftigt sich in ihrem französischsprachigen Text mit den Arbeiten der Absolventen des 1945 gegründeten Lehrgangs für Landschaftsarchitektur im Rahmen der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Hochhausbauten, wie zum Beispiel in Grenoble, Lyon und Marseille. Mit der Situation der Gartenarchitektur der 1960er- und frühen 1970er-Jahren in Österreich setzt sich Ulrike Krippner auseinander, wobei sie auch kaum bekannte Anlagen erwähnt. Heute sind - wie die Autorin richtig anmerkt - die meisten der Öffentlichen und privaten Anlagen dieser Epoche aufgrund von Unkenntnis und unsachgemäßer Pflege zerstört oder dem Verfall preisgegeben. Wenn jedoch die beiden Wiener Internationalen Gartenschauen WIG 64 und WIG 74 als positive Ausnahmen angeführt werden, sprechen zwei der drei von ihr ausgewählten zeitgenössischen Photographien genau das Gegenteil: Die Reste sowohl des Alpenpflanzengartens im Donaupark (WIG 64) als auch des Utopischen Gartens im Kurpark Oberlaa (WIG 74) sind zwischen 2012 und 2014 abgeräumt worden. Kritisch mit der sogenannten "Kasseler Schule" und deren methodisches Rüstzeug an der Gesamthochschule Kassel befasst sich im letzten Beitrag der an der Universität Kassel lehrende Stefan Körner.

Kurze Portraits von drei Gärten im Thurgau, des Bruno Weber Parks in Spreitenbach und des Gartens des Museums für Kunst und Kulturgeschichte in Freiburg sowie Buchbesprechungen runden das Heft ab.

Das Jahrbuch ist sicher ein probates Mittel, um in der breiten Öffentlichkeit Verständnis für die Erhaltung historischer Gärten und die aktuelle Gartenkultur und -kunst zu generieren. Dies gilt insbesondere für diese Ausgabe, die "unpopuläre" Gärten der Nachkriegszeit behandelt.

Ceterum censeo: Einzig der sehr hohe Preis der Publikation wird so manchen Interessierten von der Lektüre abschrecken.

 

Christian Hlavac

 

 

 

Schweizerische Gesellschaft für Gartenkultur (Hrsg.): Beton und Biotop

Gärten und Landschaften der Boomjahre. Topiaria Helvetica Band 2016. 120 Seiten, broschiert. vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich. Zürich 2016. ISBN 978-3-7281-3738-8. EUR 39,90 [D], SFr 42,-



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