Chinoise Architekturen in Deutschen Gärten

 

 

Richard Bateman ist - so John Harris - der "Vater der Chinoiserie" in Europa. Er kaufte 1730 ein bescheidenes Grundstück bei Old Windsor an der Themse. Um 1740 legte er einen neuen Garten an und baute das schlichte Haus 1741 in einen chinesischen Pavillon um. Eine Brücke, verziert mit chinesischem Lattenwerk, ist ebenfalls nachweisbar.

Viel früher als in Kontinentaleuropa fand die Chinoiserie einen Niederschlag in der Architektur Englands. Sie manifestierte sich in den dreißiger und vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts und verschwand in den 1750er-Jahren, während sie auf dem Kontinent nicht vor 1750 nachweisbar ist und vor allem das letzte Viertel des 18. Jahrhunderts prägte.

Die Chinoiserie im Landschaftsgarten verbindet man zu aller erst mit dem Namen William Chambers. Vor allem aufgrund der weiten Verbreitung seiner Schriften und Zeichnungen hatte Chambers einen starken Einfluss auf die Verbreitung des Mythos chinesischer Gartenkunst in Europa. Prägend auf sein theoretisches und praktisches architektonisches Schaffen wirkten sich die beiden Reisen nach China (1743-1745 und 1748-1749) aus. Als das Werk "Designs of Chinese Buildings" 1757 in England erschien, war dort die "China-Mode" nicht mehr aktuell. Vor allem in Deutschland, Russland und Polen übte es jedoch einen großen Einfluss aus. So dürften sich zum Beispiel Exemplare der Bücher Chambers in der Bibliothek des Wörlitzer Schlosses befunden haben, die dem Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817) als Musterbücher für seine eigenen Pläne bei der Gartengestaltung - vor allem von Oranienbaum - gedient haben könnten.

Berühmt wurde Chambers als ausführender Architekt durch seine chinesisch anmutenden Gebäude in Kew Gardens. In Kew entstand das Urbild eines "jardin anglo-chinois", der durch die 1763 erschienene Stichpublikation "Plans, Elevations, Sections, And Perspective Views of the Gardens and Buildings at Kew in Surry" bald internationale Bekanntheit erreichte.

Vornehmlich auf Chambers Traktate berief man sich in Kontinentaleuropa bei der Anlage von Gärten mit exotischen Elementen. Zusätzlich verbreitete Georges Louis Le Rouge die Ideen von Chambers, indem er im fünften Heft seines Kupfer-Stichwerks "Details des nouveaux Jardins á  la Mode - Jardins anglo-chinois á la Mode" (1776) dessen Ansichten von Gärten und Gebäuden als Raubkopien abdruckte. Auch in Deutschland, bei Johann Gottfried Grohmann, tauchten regelmäßig Details von Chambers Gestaltungsvorschlägen für Architekturstaffagen als Raubkopien auf.

Chambers Wirkung auf die Gartenkunst resultierte - dies wurde durch eine Tagung in Oranienbaum 1995 deutlich - aus seinen gartentheoretischen Schriften. Die Umsetzung chinesischer Stilelemente im Garten beschränkte sich in den meisten Fällen auf die Ausstattung mit typisch chinesischen und später auch orientalischen (osmanisch-türkischen) Gestaltungselementen, wie Teehäusern, Pagoden und Moscheen sowie auf die Verwendung von Zelten, Sonnenschirmen, Brücken und fernöstlich wirkendem Gartenmobiliar.

Chambers wandte sich einerseits gegen die regelmäßig-barocke Gartenkunst, andererseits aber gegen die für ihn langweiligen Szenen der in "englischen" Gärten nachgestalteten Natur. Sein eklektizistischer Ansatz mündete im "englisch-chinesischen Garten" (Jardin anglo-chinois), der in Kontinentaleuropa mehr Bedeutung und Anerkennung gewann als in England selbst. Im Vorwort des vorliegenden Buches stellt jedoch Michael Niedermeier zu Recht fest, dass das Wie und Warum der Transformation fernöstlicher Gartenarchitekturen, Staffagebauten und Gartenfollies nach und innerhalb Europas trotz zahlreicher Erkenntnisse noch immer nur ansatzweise beantwortet werden kann.

Den oben besprochenen Zusammenhängen hat sich der Autor des vorliegenden Lexikons, der Kunsthistoriker Gerd-Helge Vogel, bereits in seinem vierteiligen Beitrag "Wunderland Cathay. Chinoise Architekturen in Europa" in der Fachzeitschrift "Die Gartenkunst" (Hefte 1/2004, 2/2004, 1/2005 und 2/2005) gewidmet, wobei er inhaltlich den gesamten europäischen Raum betrachtete. Nun hat er für Deutschland ein Lexikon chinoiser Gartenarchitekturen erstellt. Nicht zu beantworten ist dabei die Frage, wo "chinoise" Architektursprache endet und wo zum Beispiel orientalische Architektursprache beginnt. Aus diesem Grund finden sich im Lexikon zahlreiche Architekturen, die auf den ersten Blick nur wenig mit unserer Vorstellung von asiatischer Architektursprache zu tun haben. Der "Konflikt" der Trennung ist jedoch nicht zu lösen. Der Autor hat sich daher entschieden, die Grenzen nicht zu eng zu ziehen. Somit finden wir in seinem Werk auch Gebäude, die an orientalische oder tahitische Architektur erinnern. Bei einigen wenigen Gebäuden fragt man sich jedoch unwillkürlich, warum sie in das Lexikon aufgenommen wurden: Bei der Kettenbrücke und Hohen Brücke in Wörlitz (S. 122 und S. 123) und beim meinholdschen Turmhaus (S. 134). Hier führt auch eine sehr weite Interpretation des Rezensenten zu keinem sinnvollen Ergebnis.

Von großem Vorteil ist die Tatsache, dass fast jedes besprochene Gebäude mit einer historischen Abbildung und/oder einem aktuellen Photo versehen und ein Glossar für einige architektonische Fachbegriffe aus der Baukunst Ost- und Südostasiens vorhanden ist. Angaben über den Bauherrn, den Ausführenden (Baumeister), die Lage im Garten (Park), das Bauwerk selbst, den gegenwärtigen Zustand bzw. das Abrissdatum sowie die Auflistung aller nachweisbaren Abbildungen der Gartenarchitektur und der relevanten Literatur sind der hilfreiche Raster des Lexikons. Eine mehrseitige Einführung ermöglicht ein erstes "Hineinlesen" in die Thematik. Abgeschlossen wird das Lexikon durch eine umfassende Bibliographie (41 Seiten), die - so der Autor - keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Das Werk von Gerd-Helge Vogel ist - wie Michael Niedermeier im Vorwort hofft - tatsächlich ein hilfreiches, praktisches Nachschlagewerk. Vor allem als Österreicher kann man sich dem Autor nur anschließen: Auch ein Lexikon für jene chinoisen Gartenarchitekturen, die im Habsburgerreich existieren bzw. existierten, wäre für die Forschung hilfreich. Erinnert sei für den Wiener Raum an die chinoisen Gartenarchitekturen in Neuwaldegg, Laxenburg und Göllersdorf; um einige wenige Beispiele zu nennen.

 

Ceterum censeo: Warum werden Gebäude nur mehr "realisiert" und nicht "errichtet", "erbaut" oder "Entwürfe umgesetzt"? Und die laut neuer Rechtschreibung konforme Schreibweise "Geschosse" (statt Geschoße) erinnert eher an martialische Geschütze als an feinsinnige Architektur.

 

Christian Hlavac

 

Gerd-Helge Vogel: Chinoise Gartenarchitekturen in deutschen Gärten. Ein kleines Lexikon. Mitteilungen der Pückler Gesellschaft e. V. Berlin. Band 27 - Neue Folge. VDG Verlag. Weimar 2014. 208 Seiten, 298 zumeist farbige Abbildungen, gebunden, ISBN 978-3-89739-812-2. EUR 24,- [D]



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