Das Grab in der Natur

Das Grab in der Natur

 

 

Im 18. Jahrhundert kam es in Europa – bezogen auf die Antike – wieder zu einer deutlichen Zunahme an Begräbnissen in der gestalteten Natur. In zahlreichen Gärten und Parks wurden Grabanlagen ausgeführt, wobei diese häufig über Sichtachsen in eine weiträumige "Gedächtnislandschaft" eingebunden waren. Fern der Kirchen, Kirchhöfe und Friedhöfe vollzog sich ein fundamentaler Wandel in den seit Jahrhunderten tradierten religiösen, gesellschaftlichen und kulturellen Vorstellungen von Bestattung und Totengedenken. Darüber hinaus bildete das Grab in der Natur einen wichtigen Gegenstand sowohl in der Kunst als auch in der Gartentheorie und der allgemeinen Publizistik.

Die vorliegende kunsthistorische Studie untersucht das vielschichtige Phänomen des Grabes in Gärten und Parks anhand einer sehr großen Anzahl an Bild- und Textquellen. Die meist ungewöhnlichen Grabstätten, deren ideengeschichtliche Vorbilder, Gestalter und Auftraggeber, aber auch die medialen Transfer- und Rezeptionsprozesse sowie die neuartigen Begräbnis- und Trauerrituale werden im Detail behandelt.

Das im doppelten Sinne des Wortes gewichtige Buch basiert auf der leicht überarbeiteten Dissertationsschrift des deutschen Kunsthistorikers Sascha Winter aus dem Jahre 2015. Was aber unterscheidet diese Publikation von jener im 2012 publizierten Habilitationsschrift von Annette Dorgerloh unter dem Titel "Strategien des Überdauerns. Das Grab- und Erinnerungsmal im frühen deutschen Landschaftsgarten"? Ganz offensichtlich das deutlich größere Format, der durchgehend (hochwertige) farbige Druck und die größere Anzahl an vorgestellten und analysierten, zum teils kaum bekannten Einzelfällen. Einerseits überschneiden sich einige Kapitel – vor allem Einzelstudien, wie zum Beispiel jene über die Gräber in Rheinsberg, Sanssouci und Oßmannstedt. Andererseits legt a) der Autor Sascha Winter seinen Fokus auf echte Begräbnisstätten und nahm b) Annette Dorgerloh auch Gräber aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ihr Werk auf, wie zum Beispiel die Grabpyramide für Fürst Pückler-Muskau in Branitz.

Geographisch konzentriert sich Sascha Winter auf England, Frankreich und vor allem Deutschland; selten aber doch gibt es einzelne Blicke nach Italien und Österreich. Zu Recht weist der Autor darauf hin, dass für den süd-, ost- und nordeuropäischen Raum kaum echte Gartenbegräbnisse bekannt sind und weitere Forschungen in diesen Regionen notwendig sind.

Sascha Winter beschreibt aus kunst- und kulturgeschichtlicher Perspektive die Entwicklung und die Formen echter Gartengräber von den Anfängen bis zum Ende des langen 18. Jahrhunderts. Im ersten Hauptkapitel werden europäische Vorläufer im 16. und 17. Jahrhundert behandelt. Das zweite Hauptkapitel ist Beispielen im 18. Jahrhundert aus England und Frankreich gewidmet. Als Vorbild für zahlreiche "Nachbauten" von Gartenbegräbnissen – in manchen Fällen fast 1:1 – diente das Grab von Jean-Jacques Rosseau in Ermenonville aus 1778, welches – neben jenem Grab des Gelehrten Antoine Court de Gébelin in Franconville aus 1784 – für längere Zeit das einzige reale Begräbnis in einem französischen Landschaftsgarten war. Im dritten Hauptkapitel diskutiert der Autor das Aufkommen von Gartengräbern in der deutschsprachigen Gartenpublizistik. Das lange vierte Hauptkapitel behandelt Dutzende Gartengräber des 18. Jahrhunderts in Deutschland. Mit der Grablege des 1679 verstorbenen Johann Moritz von Nassau-Siegen bei Kleve dürfte sich die früheste Grabstätte in einer neuzeitlichen Gartenanlage erhalten haben. Für Parkmausoleen gilt diese Aussage für das 1729 bis 1736/1742 ausgeführte Mausoleum in Castle Howard (England), wobei nicht einmal zehn der englischen Parkmausoleen des 18. Jahrhunderts tatsächlich als Grablegen genutzt wurden. Der erste Initiator eines Grabes in einem Garten in den deutschen Territorien des 18. Jahrhunderts (!) war der preußische König Friedrich II. Das erste tatsächliche Begräbnis in einem deutschen Landschaftsgarten findet sich hingegen 1769 in Wörlitz mit der Kindergrabstätte, der sogenannten Goldenen Urne. Die architektonisch und landschaftsgärtnerisch anspruchsvollste Anlage unter den Grabbauten in deutschen Gärten des späten 18. Jahrhunderts war laut Sascha Winter das heute nicht mehr existierende Mausoleum als Zentrum des sogenannten Drehberges nahe Wörlitz, auch wenn es nie als Grablege genutzt wurde. Die Begräbnisinsel des Hauses Sachsen-Gotha-Altenburg im "Herzoglichen Garten" in Gotha (Planungsbeginn 1779) ist das früheste Beispiel für diesen Typus in deutschen Landen. Hervorzuheben ist auch das Gruftgrab für den 1793 verstorbenen Gärtner Leopold Ludwig Schoch in "Schochs Garten" in Wörlitz: Erstmals in Europa gestand ein Landesherr, nämlich Fürst Franz von Anhalt-Dessau, einem Gartenkünstler ein Grabmal innerhalb von dessen eigenem Kunstwerk zu. Das einem übergroßen Sarkophag gleichende Grabhaus im Baumer Forst für Gräfin Juliane zu Schaumburg-Lippe und Landgräfin Ulrike Eleonore von Hessen-Philippsthal-Barchfeld ist unter den Gartenmausoleen als singulär anzusehen.

Am Ende des Buches finden sich die Schlussfolgerungen des Autors und das sehr umfassende Quellen- und Literaturverzeichnis.

Im Fazit hält der Autor fest: Die Initiatoren echter Gartengräber kamen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, wobei im deutschen Raum protestantische Auftraggeber aus dem Adel überwiegen. Nur vereinzelt lassen sich freimaurerische Einflüsse konkret nachweisen. Antiklerikale oder atheistische Begräbnisverfügungen sind selten zu finden; prominentestes Beispiel ist der preußische König Friedrich II. Der Autor betont einerseits – zu Recht –, dass die Gruppe der Auftraggeber heterogen zu nennen ist und dass sie sich nicht auf eine "Gruppe von Exzentrikern mit atheistischem oder naturreligiös-freimaurerischem Hintergrund" reduzieren lässt. Auffällig ist andererseits, dass die meisten Initiatoren von Gartengräbern keine direkten Nachkommen hatten. Deutlich wird an zahlreichen Beispielen, wie stark die einzelnen handelnden Personen dynastisch, familiär, freundschaftlich oder professionell untereinander vernetzt waren und wie vielfältig die Gestaltung der Grabstätten ist, wobei interessanterweise orientalische oder chinoise Adaptionen nicht bekannt sind. Festzuhalten ist, dass Grabmonumente an eine breite Gruppe an Lebewesen erinnern: an verehrte Zeitgenossen, geliebte Familienangehörige, Freunde und sogar Tiere. Deutlich wird auch, dass ab zirka 1800 echte und Schein-Gräber in den deutschen Landen und darüber hinaus deutlich in die Kritik gerieten, wie zahlreiche Zitate aus gartentheoretischen Schriften jener Zeit zeigen.

Der Autor schreibt, dass mit seinem Buch das Phänomen der Sepulkralkunst und Memorialkultur in europäischen Gärten und Parks des 18. Jahrhunderts "erstmals transnational und multiperspektivisch auf Quellengrundlage und mittels analoger Einzelstudien herausgearbeitet und analysiert" wird. Auf dieser Grundlage sollen zugleich die bisher vorliegenden, auf Einzelbetrachtungen beruhenden Forschungsergebnisse, Deutungen und Thesen zu Gartengräbern überprüft und erweitert werden. Fragen stellen sich unter anderem nach den Beweggründen für die Bestattung im Garten, nach den Auftraggebern, Initiatoren und Entwerfern, nach den Stilen, den Verbreitungswegen (zum Beispiel via Zeitschriften und Musterbüchern oder Reisen) bzw. der Rezeption der Gartengräber.

Das Buch ist laut Autor eine Untersuchung in zwei Teilen, die eine breitere "europäische" mit einer vertiefenden "deutschen" Perspektive verbinden. Dieses Aussage ist mit einer Einschränkung gültig: Es fehlen – wie der Autor selbst später unten schreibt – Angaben über Gräber in Gärten und Parks in den osteuropäischen Ländern und den deutschsprachigen Ländern Österreich und Schweiz.

Positiv ist beim vorliegenden Buch hervorzuheben: die umfangreich eingearbeiteten Primärquellen, die beeindruckende Vielfalt an sehr gut gedruckten Abbildungen (Fotografien, Kupferstichen etc.), wobei bei Fotos immer das Aufnahmedatum angegeben ist. Dies erleichtert späteren Generationen, abzuklären, wie sich die Grabstätten inzwischen verändert haben. Leider enthält das Werk kein Personen- und Ortsregister; dies erschwert bei der Lektüre den Rückbezug zu vorderen Kapiteltexten. Soll heißen: Wer sich keine Notizen im Buch oder extern gemacht hat, muss viel blättern und suchen.

Am Schluss sei aus österreichischer Sicht noch Folgendes angemerkt: Leider werden die wenigen bekannten österreichischen Beispiele (erinnert sei an die Grabstätten von Freiherr Laudon und Graf Lacy) nur kurz erwähnt, obwohl gerade der Vergleich zwischen "deutschen" und "österreichischen" Gartengräbern noch aussteht.

 

Christian Hlavac

 

 

 

Sascha Winter: Das Grab in der Natur. Sepulkralkunst und Memorialkultur in europäischen Gärten und Parks des 18. Jahrhunderts. Michael Imhof Verlag. Petersberg 2018. 520 Seiten, 22 x 30 cm, 364 Farb- und 159 s/w-Abbildungen, Hardcover. ISBN 978-3-7319-0730-5, EUR 119,- [D]; EUR 122,35 [A]; SFr 136,85

 

 

 

 

 

 



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