Der absolute Garten: André Le Notre in Versailles

Der absolute Garten: André Le Nôtre in Versailles

 

Garten und Park von Versailles gehören seit dem Frühbarock zu den berühmtesten Anlagen Europas bzw. der Welt. Sie wurden zum (unerreichbaren) Vorbild für die Gärten und Parks zahlreicher Fürstenhöfe.

Auch wenn die Tatsache überraschen mag: Es gibt bis dato wenig deutschsprachige, gut recherchierte und aussagekräftige Publikation zur Anlage Versailles und Le Nôtres Arbeiten vor Ort. Diese Lücke schließt zum Teil Michael Brix, Lehrbeauftragter für Design- und Kunstgeschichte an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München, mit seinem Werk. Er hatte bereits im Jahr 2004 im gleichen Verlag eine Arbeit über Le Nôtres Schaffen in Vaux le Vicomte vorgelegt.

Der Aufbau des vorliegenden Buches, vor allem die Gliederung der Zwischenkapitel nach einzelnen Gartenbereichen, ist nicht immer klar nachvollziehbar. Dies wäre gerade bei der Beschreibung großer, komplexer Anlagen wie Versailles notwendig, um den Überblick zu wahren. Die Schwierigkeit, die Gliederung zu "lesen", ist unter anderem dadurch bedingt, dass einzelne Gartenteile über die Jahrzehnte mehrmals umgestaltet und umbenannt wurden. Der Übersichtsplan des Gartens mit seiner Legende verwirrt mit großer Wahrscheinlichkeit jene Leser/innen, die Versailles noch nicht aus eigener Anschauung kennen: Die Benennungen in der Planlegende und im Fließtext variieren in manchen Fällen und verlangen ein wenig detektivische Arbeit. Zu Hilfe kommt der Anhang, der zwölf kommentierte Pläne des Gartens von Versailles aus den Jahren 1662 bis 1710, die Anmerkungen und die verwendete Literatur umfasst.

Der Autor kann sich, so mein Eindruck, nicht klar entscheiden, ob er einen detaillierten Gartenführer für jedermann oder eine in die Tiefe gehende Monographie mit z. B. zeitgenössischen Zitaten aus Rechnungsbüchern vorlegen will. Als Beispiel sei auf die gegensätzlichen Unterkapitel "Das Bassin du Dragon" und "Das Neptun-Bassin" hingewiesen. Dieses Schwanken mag auf den Anspruch des Autors zurückgehen, die Beiträge Le Nôtre an der Gesamtanlage genau herauszuarbeiten und die Beiträge anderer Gestalter (Architekten), wie Jules Hardouin-Mansart und Charles Le Brun, nur zu streifen. Um die aus den Rechnungsbüchern zitierten ausgegebenen Geldbeträge verstehen zu können, wäre eine Umrechnung der Beträge in die heutige Währung bzw. die Angabe der Relation zu damals üblichen Jahreseinkommen von typischen Werktätigen sinnvoll gewesen. Gewöhnungsbedürftig sind jene häufigen Textstellen, bei denen der Autor im "Pluralis Majestatis" schreibt (z.B. "Zunächst betonen wir, [...]", S. 160, oder "Wir haben versucht [...]", S. 180).

Da von den zahllosen Parterres de broderie, die André Le Nôtre im Verlauf seines langen Lebens geschaffen hat, kein einziges erhalten ist, verwendet Brix mehrere Computer-Simulationen (Seiten 24, 29 und 78/79), um die ehemalige Gestaltung von Parterres in Vaux le Vicomte und Versailles bildlich zu rekonstruieren. Dieses Hilfsmittel verwendet er auch bei der bildlichen Rekonstruktion des ursprünglichen Zustandes der Allée royale (Seite 181).

Die Stärke des Buches liegt einerseits in den aussagekräftigen Photos des Autors, die den Text unterstützen und "lesen" helfen, andererseits in der Vermittlung der Raumkunst Le Nôtres, Proportionen im zwei- und dreidimensionalen Sinne optimal zu erreichen. Wie Brix im Vorwort betont, hat er nicht, wie andere Photographen, das Dach des Schlosses bestiegen, um die extrem ausgedehnten Parterres überschaubar ins Bild zu setzen. Alle Photographien sind aus der Augenhöhe aufgenommen. Somit macht er die Eigentümlichkeiten des Stils von Le Nôtre, die Dominanz der Horizontalen, das Spiel mit Proportionen und optischen Täuschungen und das "optische Verschlucken" (Marguerite Charageat) von Teilbereichen, visuell anschaulich. Die heutigen Betrachter sollen den gleichen Eindruck wie die Zeitgenossen Le Nôtres und König Ludwigs XIV. haben. Um eine Idee des Panorama-Effektes der Parterres zu vermitteln, verwendet Brix in einigen Fällen ein sehr starkes Weitwinkelobjektiv und montiert die Einzelaufnahmen zusammen. "Solche Bilder zeigen, was der Besucher zwar nicht mit einem einzigen Blick erfahren, aber eben doch erleben kann, wenn er seine Augen wandern lässt." Die Photographien wurden in den Jahren 1996 bis 2007 angefertigt. Sie zeigen wechselnde Zustände des Gartens und Ergebnisse der großen Restaurierungskampagne, die 1992 begann. Diese Kampagne hat das "einseitige Bild vom Künstler André Le Nôtre korrigiert, das seit dem späten 19. Jahrhundert zum Klischee wurde: das Bild vom rabiaten Regisseur der unendlichen Perspektiven. Dieser Meister der großen Gesten beglückt den Gartenbesucher auch mit intimen Raumschöpfungen wie den Bosketten, die sich durch Anmut und Natürlichkeit auszeichnen", schwärmt Brix im Vorwort.

Fazit: Das Werk ist kein Einleitungsbuch für Personen, die sich zum ersten Mal mit dem französischen Garten, Versailles oder Le Nôtre beschäftigen wollen. Ein Vorwissen ist notwendig. Erst dann erschließt sich die Qualität des Buches über DEN "absoluten Garten".

Christian Hlavac

 

Michael Brix: Der absolute Garten. André Le Nôtre in Versailles. Arnoldsche Verlagsanstalt. Stuttgart 2009. 248 Seiten mit 148 Farbabbildungen. 24 x 26 cm, Hardcover. ISBN 978-3-89790-241-1, EUR [D] 39,80



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