Der Gärtner Emil Sello auf Reisen 1838-1840

 

 

Der spätere Hofgärtner Emil Sello (1816-1893) aus der preußischen Hofgärtnerfamilie Sello unternahm von März 1838 an eine dreijährige Reise durch Österreich, Italien, die Schweiz, Belgien, Frankreich, England, Schottland und Deutschland. Vorher hatte er eine Gärtnerlehre bei seinem Vater Ludwig, Carl Fintelmann und dem mit ihm verwandten Eduard Nietner absolviert. Das vom Gartenhistoriker Clemens Alexander Wimmer nun transkribierte und veröffentlichte Reisetagebuch ist das bisher umfangreichste bekannte seiner Art. Es zeigt den "Mischcharakter der Reise" - wie Wimmer es formuliert. Es ist eine Mischung aus einer Gehilfenreise, die auf Mitarbeit des Reisenden in den Gartenbetrieben beruht, einer Weiterbildungsreise und einem Urlaub, wobei die Finanzierung ungewöhnlicher Weise zur Hälfte privat und zur Hälfte aus der Hofstaatskasse erfolgte.

Das Buch beginnt mit einer Einleitung, in der die biographischen Daten Emil Sellos und die Vorgeschichte der Reise sowie die Finanzierung und Reiseroute aufgearbeitet werden. Danach ist der vollständige, transkribierte Text des Tagebuchs abgedruckt. Einige (oder alle?) Skizzen aus dem Reisetagbuch werden im Buch jeweils an der dazugehörigen Stelle abgebildet. Sie zeigen Transportbehälter, Gartenwerkzeuge, Veredelungs- und Erziehungsarten und vor allem Gewächshäuser (Grundrisse, Schnitte, Schrägansichten).

Der erste längere Aufenthalt Sellos war jener in Wien, wobei er unter anderem im April und Mai 1838 unentgeltlich beim Handels- und Kunstgärtner Johann Conrad Rosenthal und im Juni im Laxenburger Schlosspark arbeitete. Auffällig ist, dass er viele in Österreich besuchte Anlagen beinahe "lustlos" und nur oberflächlich beschreibt sowie keine technischen Angaben bzw. Zeichnungen macht, was sich vor allem in England sehr deutlich ändert. Sein Tagebuch bricht leider in Hamburg ab, ohne dass wir etwas über den Rest der Reise erfahren. Im Nachwort wird dem weiteren Lebensweg Sellos nachgegangen und der Versuch einer Einordnung der Reise in das System "Gärtnerreisen" unternommen. Ein Personenregister schließt das Buch ab.

Obwohl Sello deutschsprachig war, ist ein Teil seiner Aufzeichnungen über den Aufenthalt in Paris und Belgien in Französisch verfasst, das er damals gerade lernte. Dementsprechend ist dieser Textteil schwierig zu lesen. Immer wieder verwendet Sello keine ganzen Sätze, sondern zählt fast stakkatoartig Ereignisse auf – die nicht nur aus dem Bereich Gartenbau stammen, sondern beispielsweise auch Theater- und Museumsbesuche sowie Ausflüge umfassen. Am 15. Oktober 1840 ist er beispielsweise in London bei einer Probefahrt der atmosphärischen Eisenbahn dabei, deren Technik sich gegen die Adhäsionsbahn nicht durchsetzen konnte; im November 1840 sieht er in Hamburg Franz Liszt spielen. Manche der Texte Sellos lösen Erstaunen aus: So zum Beispiel, wenn er über den Mailänder Dom schreibt: "Die Milaneser benutzen den Dom häufig als Morgen- oder Abendspaziergang und erlaben dann auf dem Dache, eine große flache Ebende überschauend, ihren Körper an mitgebrachter Speise und Trank." Manchmal nimmt man aber auch seine fachlichen Kommentare mit etwas Verwunderung auf. Zum Beispiel, wenn er vom Wiener Volksgarten als "englische Anlage" spricht. Auffällig ist, dass er - im Vergleich zu vorherigen Reisezielen - in England viel über Gewächshäuser, deren Konstruktion und Ausstattung schreibt. Wir erfahren immer wieder, welche Fachliteratur er sich an den einzelnen Orten ausborgt bzw. kauft. Deutlich wird, dass Sello auf seiner Reise (teils auch zufällig) viele Gärtnerkollegen trifft, manchmal nicht nur einmal, sondern mehrmals – und dies in verschiedenen Orten Europas. So zieht er in Wien mit Gottlieb Ludwig Schoch, dem Sohn des Wörlitzer Gärtners Johann George Schoch, zusammen. In Wien lernt er in Schönbrunn Heinrich Schott kennen und im Innsbrucker Hofgarten den Hofgärtner Benedikt Eschenlohr. In London macht er Bekanntschaft mit dem bekannten Gartenschriftsteller John Claudius Loudon.

Es ist aufgrund der Datenmenge mehr als verständlich, dass Clemens Alexander Wimmer nicht jeden Eigennamen überprüfen konnte. Daher bleibt es den Leserinnen und Lesern vorbehalten, an dieser und jener Stelle für ihren jeweiligen Zweck einen Abgleich vorzunehmen und auf lokales Wissen zurückzugreifen. So handelt es sich zum Beispiel beim Garten des Herrn "Brunney in Hetzendorf" um die Anlage des Freiherrn Sigismund von Pronay (1780–1848), einem Gründungsmitglied und Vizepräsidenten der k. k. Gartenbaugesellschaft in Wien. Wenn Sello am 20. September 1838 einen "Spaziergang nach der Spinnerei von Krenze" mit einer "herrlichen Übersicht von Wien" macht, dann war er bei der gotischen Steinsäule "Spinnerin am Kreuz" an der Straße nach Triest (heute Wien-Favoriten).

Gärtnerreisen sind als eine Form eines Kulturaustausches und einer Wissensaneignung zu verstehen. Genaue Daten über diese Reisen sind rar. Daher ist es positiv zu sehen, dass Reiseberichte von Gärtnern in den letzten zwei Jahrzehnten verstärkt in den Fokus der Forschung gerückt sind, denn diese Texte zeigen uns nicht nur den Zustand und die Ausstattung der jeweils besuchten Gärten, Parks, Baumschulen und Gärtnereien, sondern geben auch Auskunft über das Wissen der reisenden Gärtner über Pflanzen, Gewächshäuser, Anzucht usw. sowie ihr berufliches Netzwerk. In vielen Reiseberichten dieser Zeit spielt der technische Fortschritt bei der Gewächshaustechnik eine auffallend große Rolle, wie auch das vorliegende Beispiel Sello zeigt. Clemens Alexander Wimmer ist es daher hoch anzurechnen, dass er den Text in ein Buch gegossen hat und somit die Forschungslücke ein wenig kleiner wurde.

Christian Hlavac

 

Clemens Alexander Wimmer (Hrsg.): Ein Gärtner auf Grand Tour. Emil Sellos Tagebuch seiner Europareise 1838–1840. Mitteilungen der Pückler Gesellschaft e. V. Berlin, Band 33, Verlag VDG. Ilmtal-Weinstraße 2020. 352 Seiten, 14,8 × 21 cm, 160 Abbildungen, Hardcover. ISBN 978-3-89739-941-9. EUR 26,00 [D]



<< zur Übersicht