Entdeckung einer Landschaft

Entdeckung einer Landschaft

Reisende, Schriftsteller, Künstler und ihre Alpen

Das Bild der Alpen und damit von Demokratie und Freiheit besteht aus einem "Geflecht von Klischees", so der Schweizer Literatur- und Kunstwissenschafter in seinem 2002 erschienenen und nun ins Deutsche übersetzten Werk über die Entdeckung der Schweizer Alpen(landschaft). Der Autor befragt die europäischen Reisenden, die zwischen 1770 und 1830 die Schweizer Alpen besuchten, nach den Motiven ihres Tuns: Was hofften sie dort zu finden, das sie bei sich zu Hause vermissten? Was stellten die Alpen für sie dar, was nirgendwo sonst in Europa anzutreffen war?

Claude Reichler zieht zwei Aspekte in Betracht: Zum einen die geschichtlichen und geographischen Voraussetzungen der Schweiz und zum anderen die imaginativen und symbolischen Anteile der Reisenden aus ganz Europa. Mit anderen Worten ihre jeweilige Sichtweise sowie ihre Auffassungs- und Deutungsmuster, die ihr "geistiges Rüstzeug" ausmachten. Der Autor nähert sich dem Thema über eine Sammlung von Stichen (Caspar Wolf), Reisebeschreibungen (von Horace Bénédict de Saussure und Johann Wolfgang von Goethe), über eine ökonomische Darstellung, ein wissenschaftliches Verfahren, ein ästhetisches Problem und ein literarisches Thema.

Im ganzen 18. Jahrhundert wurde in Europa über den Ursprung des gesellschaftlichen Zusammenhangs sowie über die Regierungssysteme nachgedacht. Daher verwundert es nicht, dass zahlreiche Schweizreisende politische Systeme und Volksfeste genau beschrieben und die beiden Idealvorstellungen gesellschaftlichen Zusammenlebens, die demokratischen Republiken der Antike und die herrschaftsfreie Urgesellschaft des "guten Wilden", der Schweizer Bevölkerung "übergestülpt wurden" (S. 274). Diese Sichtweise lebt unter anderem durch die Begriffe "Schweizer Alpenfestung" und "Neutralität im Schweizer Sinne" noch heute weiter.

Das Buch schließt mit der Betrachtung des Schweizer Alpenmythos durch Max Frisch und seiner Entidealisierung bzw. Geschichtsauffassung der Schweiz(er Alpen) ab.

Claude Reichler legt mit dem Werk ein weiteres Stück in das große Puzzle der "Entstehung des Mythos Alpen" ein und steuert eine auszugsweise Kulturgeschichte der alpinen Landschaft durch die europäischen Eliten des späten 18. Jahrhunderts bei. Es bedient sich literarischer Texte und bildlicher Darstellungen, um sich dem europäischen (sic) Phänomen des Alpenmythos zu nähern.

Christian Hlavac



Claude Reichler: Entdeckung einer Landschaft. Reisende, Schriftsteller, Künstler und ihre Alpen. Rotpunktverlag, Zürich 2005; 340 S., ISBN 3-85869-306-5; sFr 42,- / EUR 26,50



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