Gartendenkmalpflege zwischen Konservieren und Rekonstruieren

 

Das Thema Rekonstruktion in der (Garten-)Architektur wird seit Jahren sowohl in der breiten Öffentlichkeit als auch in Fachkreisen kontrovers und teils auch untergriffig-polemisch diskutiert. Sinn, Zweck und Rechtfertigung von Rekonstruktionen stehen zur Debatte, die in der vorliegenden Publikation aufgegriffen wird. Ausgangslage war der im Dezember 2007 in Hannover abgehaltene Workshop "Rekonstruktion in der Gartendenkmalpflege", dessen Diskussionsbeiträge in Kurzfassung schon kurz nach der Veranstaltung als Broschüre vorlagen. In Folge wurde die wiederholte Anregung aufgegriffen, einzelne Personen aus dem In- und Ausland als Autoren für ein Buch zu gewinnen. Die Beiträge sollten über die Frage nach Rekonstruktion in historischen Gärten hinausgehen. Die Herausgeber möchten zeigen, wie das Spannungsfeld in der Gartendenkmalpflege zwischen Konservieren und Rekonstruieren theoretisch und praktisch beschrieben werden kann. Die Publikation schließt jedoch nicht nur an die Ergebnisse und Beiträge des Workshops 2007 an, sondern ist auch im Zusammenhang mit aktuellen Publikationen und Tagungen zum Thema zu sehen: Hier sei auf die Bücher "Der Garten - ein Ort des Wandels" (Zürich 2006), "Rekonstruktion in der Gartendenkmalpflege" (Petersberg, 2008) und "Das Prinzip Rekonstruktion" (Zürich, 2010) verwiesen.

Géza Hajós plädiert in seinen sehr persönlich gehaltenen Vorbemerkungen für die Anerkennung eines Lernprozesses in der Gartendenkmalpflege. Aufbauend auf seine 25jährige Tätigkeit in der Gartendenkmalpflege meint er, dass man sich nicht für viele gartendenkmalpflegerische Wiederherstellungen aus dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts zu schämen braucht, auch wenn man - so Hajós - aus heutiger Sicht in manchen Fällen anders entscheiden würde. Da materiell gesehene Authentizität in Gärten der Barock- oder Renaissancezeit in der Praxis nicht vorliegen kann, ist eine total "konsequente" Denkmalkonservierung nur in den seltensten Fällen durchführbar. Das Konservieren ist daher eher unter dem Aspekt der kulturellen Identität zu sehen. Der Gartendenkmalpfleger - so Hajós weiter - ist in der Praxis immer mit Einzelfällen konfrontiert, wo eine "Totalrekonstruktion" sehr selten oder nie vorkommt. Eine Vernetzung von Konservieren, Restaurieren und Rekonstruieren erscheint ihm sinnvoll.

In seinem theoretischen Beitrag "Überlegungen zur Gartendenkmalpflege" legt Harald Blanke unter anderem darauf Wert, dass für jeden Gegenstand des materiellen Erbes die selben Kriterien wie für das immaterielle Erbe gelten. Das Manuskript von Beethovens neunter Symphonie - um ein Beispiel zu nennen - lebt von der Interpretation. Und so ist ein Gartendenkmal - wie schon Riegl betonte - von der Rezeption verschiedener Generationen abhängig. Eine Conclusio seiner Überlegungen: Es sei berechtigt, die Rekonstruktion zu den klassischen Handlungslinien der Denkmalpflege zu rechnen, bei denen es "immer darauf ankommt, Bild und Substanz zur Deckung zu bringen". Die Notwendigkeit einer Rekonstruktion im Einzelfall bedarf jedoch immer einer sorgfältigen diskursiven Abwägung, so Blanke.

Der längste Beitrag des Buches beschäftigt sich vor allem mit der historischen Entwicklung des Viergestirns "Kunst - Geschichte - Denkmal - Garten". Die Entstehung der Disziplin "Gartendenkmalpflege" um 1900 wurde aus Sicht des Autors Géza Hajóss gefördert durch die Wiederentdeckung des Gartens als "Kunstwerk" im Gegensatz zum "Naturwerk" des Landschaftsgartens, durch die Heimatschutzbewegung und die "allmähliche Emanzipation der kunst-historischen Gartenforschung von der zeitgenössischen Gartenkunst". Sein Fazit mit Blick auf die Disziplingeschichte und die tagtägliche Praxis: In jedem konkreten Einzelfall ist zu entscheiden, was konserviert (erhalten), was freigelegt und regeneriert (restauriert) und was wiederhergestellt (rekonstruiert) werden sollte. Einzig vor der "Fortsetzung des Denkmals" sei zu warnen, da in diesem Fall die Gartendenkmalpflege ihre Kompetenzen schnell überschreiten kann.

Rainer Schomann bringt in seinem Beitrag die Problematik der Benennung von Zielen und Tätigkeiten der Gartendenkmalpflege auf den Punkt. Er fügt kritisch an, dass in manchen Fällen, die er kurz vorstellt, mit neuen Schlagworten, wie z.B. "Dem Vergessen entreissen", Rekonstruktionen verschleiert werden sollen. Seine Conclusio zur Begriffsvielfalt und -verwirrung: "Letztendlich liegt die Schwierigkeit des heutigen Umgangs mit historischen Gärten wohl in der Komplexität der jeweiligen Interessenlage und ihrer mangelhaften Kommunikation in die Öffentlichkeit."

Hubertus Fischer und Hartmut Troll reflektieren in ihren beiden Beiträgen die Diskussion der letzten Jahre über eine mögliche "Rekonstruktion" des Hortus Palatinus in Heidelberg, wobei Fischer mit seiner Überschrift "Wir bauen uns einen Schloßgarten" seine Sicht der Dinge pointiert einleitet.

David Jacques berichtet auf Englisch aus britischer Sicht über Richtlinien zur "garden conservation" und deren Entwicklungsgeschichte. Mark Laird gibt - ebenfalls auf Englisch - einen Rückblick auf die Geschichte der Pflanzenverwendung und Pflanzenerhaltung (conservation) in Gärten vor allem an Hand des Beispiels von Painshill Park (Surrey/England), der ab 1981 wiederhergestellt bzw. rekonstruiert wurde.

Der Wiederaufführung vegetabiler historischer Gestaltungselemente anhand der Kreisparterre-Alleen, der grünen Arkaden zwischen den Zirkelhäusern und Berceaux, der grünen Arkaden am Orangeriegarten und der Berceaux naturel beim ehemaligen Spiegelbassin in Schwetzingen widmet sich Hubert Wolfgang Wertz praxisnah in seinem reich bebilderten Aufsatz.

Clemens Alexander Wimmer leitet seinen Text zu Parterres aus Renaissance und Barock mit der Aussage ein, dass zum Thema nichts zu sagen sei, wenn Denkmalpflege nur als Konservieren betrachtet wird. Außer archäologischen Spuren sei nichts zu finden. Daher könne er nur Anhaltspunkte für die Diskussion über die "Neuanlage" von Parterres und die unterschiedlichen Verfahrensweisen geben. Wimmer stellt sechs Umsetzungsmöglichkeiten vor und würdigt kritisch neu angelegte, wiederhergestellte Parterres in Europa.

Einen Überblick zum Thema Gartendenkmalpflege mit Beispielen aus der Praxis gibt Stefan Rhotert. Seiner Meinung nach werden die Begriffe Pflege, Restaurierung und Rekonstruktion von den Fachleuten kaum in vergleichbarer Weise definiert. So kann sich "der Gartendenkmalpfleger nicht auf klare wissenschaftliche Vorgaben berufen, sondern muss sich selbst in der Vielfalt der Argumente zurechtfinden." Deshalb versucht Rhotert, die Begriffe für sich kurz und vereinfacht zu charakterisieren. Dass jeder Garten ein Sonderfall ist, zeigt er an einigen konkreten Beispielen aus einem Zeitraum von 30 Jahren.

Alfred Schelte schließt insofern an Rhotert an, als er am konkreten Fall Schloß Seehof einen bebilderten Erfahrungsbericht über 32 Jahre Gartendenkmalpflege zwischen Konservieren und Rekonstruieren gibt.

Roland Puppe stellt seinen musealen Ansatz vor, der bereits bei der Tagung "Historische Gärten und Marketing" 2009 in Baden zu einer längeren Diskussion geführt hat. Ausgehend von der großen öffentlichen Wertschätzung und Anerkennung historischer musealer Sammlungen scheint nach seiner Meinung ein Vergleich der Gärten mit Museen durchaus sinnvoll zu sein.

Klaus-Henning von Krosigk ist in seinem Beitrag der Meinung, dass die Gefahr einer "vielbeschworenen Rekonstruktionswut" nicht gegeben sei. Das Hauptproblem sei der Erhalt und die Pflege der gartenkünstlerisch gewollten Bild- und Raumkomposition. Mit zahlreichen Beispielen aus dem Berlin nach der Wende will er zeigen, dass die "herkömmliche Denkmalpflege-Trias Konservieren, Restaurieren und Rekonstruieren ohnehin nicht mehr die ganze Bandbreite des denkmalpflegerischen Vorgehens bestimmt."

Ronald Clark und Holger Paschburg gehen auf die Geschichte des ältesten noch bestehenden Heckentheaters Deutschland im Großen Garten Hannover-Herrenhausen ein, das heute noch wesentliche Elemente der ursprünglichen barocken Gestaltung aufweist. Basierend auf einem bereits erstellten Entwicklungskonzept sollen in den nächsten Jahren denkmalpflegerische Maßnahmen durchgeführt werden, wobei der ursprünglichen barocken Gestaltung Vorrang vor den Umgestaltungen des 20. Jahrhunderts gegeben wird.

Im letzten Beitrag des Buches widmet sich Joachim Wolschke-Bulmahn einem gesellschaftspolitisch umstrittenen Thema: Der Frage nach Unterschutzstellung bzw. Denkmalpflege von "Unkultur"-Stätten der NS-Diktatur. Nachdem Wolschke-Bulmahn den Zusammenhang zwischen Landschaft und der NS-Ideologie ("Volksgemeinschaft") näher darlegt, stellt er mehrere landschaftsgebundene NS-Stätten, wie den Sachsenhain und Heiligenberg, vor. Er plädiert - aus Sicht des Rezensenten nach dem Motto "Kultur: Denk mal!" - für den Erhalt der Anlagen. Damit diese zum Bestandteil einer kritischen und reflektierten Heimatgeschichte werden.

Vom prinzipiellen Standpunkt ist zur Publikation folgendes anzumerken: Der Beitrag von Sigrid Thielking über "literaturbezogene Gartenkulturvermittlung" wirkt hilflos verloren in einer Publikation über Begrifflichkeiten der Gartendenkmalpflege. Schade ist, dass einige Farbbilder einen deutlichen Blaustich haben. Drittens wäre im Anhang eine kurze Information über die Autorin (sic) und die Autoren hilfreich.

Nach Lesen der Lektüre verfestigt sich m. E. der Eindruck, dass sich die Akteure der Disziplin Gartendenkmalpflege tendenziell eher einig sind, was zu unterlassen ist ("no go"), als was und wie durchzuführen ist ("to do"). Das Buch mit seinen unterschiedlichen Beiträgen zeigt uns aber auch, dass die notwendige Diskussion weiter gehen wird. Konkrete Anlässe, wie Heidelberg, wird es in der nächsten Zeit mit Sicherheit wieder geben.

 

Christian Hlavac

 

Géza Hajós, Joachim Wolschke-Bulmahn (Hrsg.): Gartendenkmalpflege zwischen Konservieren und Rekonstruieren. Schriftenreihe CGL-Studies Band 9.

Verlag Martin Meidenbauer. München 2011. 306 Seiten. Gebunden. ISBN 978-3-89975-217-5. EUR 69,90 [D]

 

 



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