Geschichte der Gartenkultur

Geschichte der Gartenkultur

 

Das vorliegende Buch erscheint als ergänzte und überarbeitete Neuausgabe eines vom italienischen Architekten und Städteplaners Virgilio Vercelloni (1930-1995) im Jahr 1990 auf Italienisch veröffentlichen Werkes, welches 1994 in Deutsch unter dem Titel "Historischer Gartenatlas" erschienen ist. Paola Gallo, die bereits am Gartenatlas mitgearbeitet hatte, gliederte den Text vollständig neu nach Kapiteln, die von der Antike bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts reichen. Der Sohn von Virgilio Vercelloni, Architekt Matteo Vercelloni (Jahrgang 1961), ergänzte den Band mit einer Einleitung, den Kapiteln über Amerika und die Zeit des 19. bzw. 20. Jahrhunderts. Mitte 2009 in der Originalsprache mit dem Titel "L`Invenzione del Giardino Occidentale" ("Die Erfindung des abendländischen Gartens") erschienen, liegt seit Oktober 2010 die deutsche Übersetzung vor.

Weit über 2000 Jahre Geschichte der Formgebung und Nutzung der Natur in Form von Gärten und Parks fasst das Werk zusammen. Der Druck der 477 Abbildungen (Pläne, Stiche, Photos, ...) ist von hoher Qualität, auch wenn einige Bilder (z.B. vom Wiener Belvedere bzw. Potsdamer Sanssouci) bereits einige Jahrzehnte alt sind.

Beim Lesen des Buches bestätigt sich der erste Eindruck, der nach einem flüchtigen Durchblättern entstanden ist: Anders als der Titel "Geschichte der Gartenkultur" suggeriert, handelt das Buch ausschließlich von der Entwicklung der Gartenkunst (!) in den letzten 2000 Jahren. Nicht die Gartenkultur (lat. cultura, Landbau, Pflege) steht im Mittelpunkt des Textes, sondern die Gartenkunst (ahd., Fertigkeit, Kenntnis) im Sinne des Gestalten-Könnens eines Gartens. Bezeichnenderweise kommt im Buch - selten aber doch - der Begriff "Gartenkunst" vor; den Begriff "Gartenkultur" wird man vergeblich suchen.

Das Buch, so verheißt die Einführung, soll die "Geschichte der Idee des Gartens in der westlichen Welt" näher bringen. Diesen Anspruch kann der Text (!) nicht erfüllen. Komplexe, schwerfällige und zu lange Sätze, die außerdem durch die gewöhnungsbedürftige Übersetzung aus dem Italienisch auffallen, verunmöglichen einen durchgehenden Lesefluss, wie einige Beispiele zeigen sollen: "Diese neue Ausdrucksweise impliziert einen präzisen Bezug zur Pflanzenwelt und ist in der Lage, die Leidenschaft für die Archäologie mit der romantischen Faszination eines Bildes zu verbinden, was dazu führt, in der Vergangenheit die Idee des Goldenen Zeitalters der Kultur auf dem Weg des Fantastischen wiederzugewinnen." (S. 40); "Demonstration des semantischen Formats einer gepflegten Architektur." (S. 69); "Die Gesamtheit der Zeichen, Accessoires und Symbole ist quantitativ korrekt, doch in der Substanz mechanisch, beschwert mit gewohnten semantischen Merkmalen, alles in einer Gesamtsumme von Elementen, welche die besondere Harmonie der originären italienischen Vorbilder abhanden kommen lässt." (S. 70); "Die Ausstattung zum Hinsetzen ist Ausdruck einer Kultur, die danach trachtete, in den Garten besonders dezente Zeichen einzufügen, die nach praktischen Bedürfnissen verstreut und verteilt sind und dabei nur einigen Objekten die Aufgabe architektonischer Hauptdarsteller überlassen (der natürlichen Raffinesse des künstlichen Arrangements), um damit der Pflanzenszenerie die Bedeutung einer vorrangigen Aussage zu geben." (S. 126); "Jenseits des inneren Plans der einzelnen Stücke des magischen Puzzles aus Grün, das als unkontaminiertes Naturrevier gedacht und gleichsam in surrealer Weise in die gebaute Realität eingefügt war, die von den Gärten der Stadt aus im neuen großen Franklin Park kulminierte und dabei die urbane Dichte mit einer Reihe untereinander verbundener grüner Punkte durchbrach, ist das, was aus der Smaragdkette ein Projekt von weiter methodischer und konzeptueller Bedeutung macht, die Idee der urbanistischen Kontinuität der Gesamtheit der einzelnen Episoden." (S. 200). Der Buchbesprechung auf www.garten-literatur.de muss daher widersprochen werden: Das Buch ist aufgrund des Textes nicht für Einsteiger geeignet!

Einige im Werk verwendete Formulierungen und Wörter sind bizarr, wie z.B. "[Der] Dreißigjährige Krieg, der mehr als die Hälfte der Bewohner dieser Gebiete sterben sehen wird" (S. 67), "biologisches Manufakt" (S. 154), "der Park als Manufakt" (S. 183). Auch Kapitelüberschriften verwirren: So müsste das Kapitel "Die Einrichtungen für den romantischen Garten" (S. 125 ff) genau genommen "Die Elemente des romantischen Gartens" lauten. Das Gleiche gilt für das Kapitel "Der Garten als mondiales Faktum": Passender wäre z.B. "Der Garten als weltweites Phänomen" gewesen. Auffallend sind auch die relativ kurzen, teils minimalistischen Abbildungstexte. Nähere Informationen zu den Plänen und zeitgenössischen Abbildungen wären in vielen Fällen hilfreich. Zu kurze Abbildungstexte könnten zu Missverständnissen führen, wie das Beispiel der Abbildungen "Ansichten des Schlosses und Parks Sanssouci" (S. 118-119) beweist. Zeigt das große Bild dem Unkundigen das Schloss oder doch die Orangerie bzw. ist das vermeintliche Nebengebäude nicht vielleicht doch das Schloss?! Mit großer Wahrscheinlichkeit sind manche verwirrenden Bildunterschriften der Übersetzung geschuldet: Zwei Stiche von Salomon Kleiner, welche mit "Muster für Baumbeschnitt für zwei architektonische Wäldchen" angegeben werden, zeigen Bosketts mit Boulingrins (S. 90). Immer wieder fallen kleine Fehler auf: Vertauschte Bildtexte (Klosterplan Gallen, S. 23), Tippfehler (z.B. "Parks von Muskau und Braintz", S. 112 und "Landgut von Rezt in der Nähe von Marly", S. 136) und falsche Jahresangaben (z.B. 1971 statt 1871 bei der Zuschreibung eines Planes des Prospect Parks in Brooklyn, S. 199).

Die Bibliographie im Anhang umfasst leider fast ausschließlich Literatur bis zum Jahr 1993 aus der ehemaligen Bibliothek von Virgilio Vercelloni, deren Bücher heute in der Biblioteca dell`Accademia di Architectura von Mendrisio aufbewahrt werden (S. 276).

Positiv hervorzuheben sind das Kapitel über die Entwicklungsgeschichte des (nord-)amerikanischen Gartens mit einem Blick über den Tellerrand und - für ein Buch über die Geschichte der Gartenkunst ungewöhnlich - die ausführliche Beschäftigung mit dem Garten des 20. Jahrhunderts bis in unsere Zeit.

Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die Autoren viel geschrieben, aber wenig Substantielles mitteilen. Die Idee, ein einführendes und übersichtliches Werk über die europäische Gartenkunstgeschichte zu verfassen, ist den beiden Co-Autoren hoch anzurechnen. Die Umsetzung, auch bedingt durch eine missglückte Übersetzung vom Italienischen ins Deutsche, enttäuscht leider.

Christian Hlavac

 

 

Virgilio und Matteo Vercelloni: Geschichte der Gartenkultur. Von der Antike bis heute. Verlag Philipp von Zabern. Mainz 2010. 280 Seiten mit 477 Farbabbildungen, 24 x 26 cm, Gebunden. ISBN 978-3-8053-4252-0. EUR 49,90 [D]



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