Gustav Lüttge: Gartenkunst der Nachkriegsmoderne

Gustav Lüttge: Gartenkunst der Nachkriegsmoderne

 

In der 2014 beschlossenen „Wiener Erklärung“ über das „Grüne Nachkriegserbe“ der 1950er- und 1960er-Jahre wurde festgehalten, dass „Unkenntnis und mangelnde Pflege, oft auch fehlende Wertschätzung […] über die Jahrzehnte zu großen Substanzverlusten an dem gartenkulturellen Erbe dieser Epoche geführt“ haben und „die gartenkulturellen Leistungen der Nachkriegszeit und des Wiederaufbaus zu entdecken, zu erforschen und nicht gedankenlos preiszugeben“ sind. Die „Wiener Erklärung“ versteht sich deshalb auch als ein „Aufruf zur Erhaltung, zum Schutz, zur Erforschung, Inventarisierung und Sicherung der Pflege von Parks und Gärten der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.“ Die beiden Wörter „Erforschung“ und „Inventarisierung“ spielen in Bezug auf das vorliegende Buch des Stadtplaners und Denkmalpflegers Frank Pieter Hesse eine große Rolle. Denn um zu verstehen, wie sich die Gartenarchitektur jener Zeit darstellte, ist es auch notwendig, das Gesamtwerk der einzelnen Gartenarchitekten – und der extrem wenigen Gartenarchitektinnen jener Zeit – genauer darzulegen und zu analysieren, also zu erforschen und zu inventarisieren. Obwohl Frank Pieter Hesse keinen Bezug zur „Wiener Erklärung“ herstellt, ist er sozusagen „mitten drin“ im Diskurs um das „Grüne Nachkriegserbe“, denn Gustav Lüttge (1909–1968) war – wenn auch schon vor 1945 tätig – vor allem in den 1950er-Jahren und 1960er-Jahren ein vielbeschäftigter Gartenarchitekt in Norddeutschland.

Oft werden noch heute Bestände von Garten-/Landschaftsarchitekturbüros aus Unwissenheit oder Desinteresse vernichtet. Es ist ein Glück, dass sich im Fall von Gustav Lüttge so viel(fältig)e Unterlagen erhalten haben: Der Nachlass des Lüttgeschen Büros – im Wesentlichen eine Vielzahl an Entwurfs-, Bepflanzungs- und Ausführungsplänen – konnte in das Hamburgische Architekturarchiv überführt werden und wurde dort geordnet. Dieser Nachlass ist die wichtigste Basis für die Monographie über Gustav Lüttge.

Nach einer Einleitung widmet sich Frank Pieter Hesse im ersten Kapitel dem privaten und beruflichen Werdegang Lüttges. Im zweiten Kapitel wird die Frage beantwortet, wie Lüttge zu einem der wichtigsten deutschen Gartenarchitekten seiner Zeit wurde: Welche Personen prägten ihn? Wie und durch welche Faktoren entstand sein Stil? Den von ihm und seinem Büro geplanten privaten Wohngärten gehört das dritte Kapitel. Sie machten den Großteil der Planungen Lüttges aus. In einem eigenen, anschließenden Kapitel widmet sich die Gartenarchitektin Eva Henze (Tochter des Lüttge-Mitarbeiters und Nachfolgers Wolfgang Henze) der Pflanzenverwendung bei Lüttge. Das fünfte Kapitel handelt von den öffentlichen Parks, der Planung für die Interbau 1957 (Berlin), den ausgeführten und nicht ausgeführten Gedenkstätten und Mahnmalen (zwischen 1953 und 1965), der Siedlung Marienhöhe in Quickborn sowie dem Kurpark in Mölln.

102 Seiten umfasst das kommentierte Werkverzeichnis Lüttges in chronologischer und alphabetischer Reihenfolge (innerhalb eines Jahres) mit 418 Projekten, darunter über 270 Hausgärten. Die meisten dieser Projekte sind mit einem Lüttge-Plan und/oder einem zeitgenössischen bzw. aktuellen Bild versehen. Im siebenten Kapitel druckt Hesse 16 – teils bisher unbekannte – Texte aus der Hand Gustav Lüttges ab, darunter Manuskripte zu Vorträgen. Beim Lesen dieser Texte zeigt sich, wie wichtig es Lüttge war, ein „Wohnen im Grünen auf kleinster Grundfläche“ zu ermöglichen. Auch wenn die Texte – wie Hesse es formuliert – heute hie und da antiquiert wirken, ermöglichen sie uns, ein Verständnis jener Zeit zu ermöglichen, in der Lüttge lebte und arbeitete. Sie veranschaulichen den weltanschaulichen und gartentheoretischen Hintergrund seines Schaffens.

Das letzte Kapitel bietet fünf Texte von Zeitgenossen sowie Kolleginnen bzw. Kollegen, die einen weiteren Außenblick auf die Person Lüttge ermöglichen. Der Anhang umfasst einen kurzen tabellarischen Lebenslauf Lüttges, dessen Veröffentlichungsliste, ein Literaturverzeichnis, ein umfassendes Register (Personen bzw. Firmen sowie Orte) sowie den Abbildungsnachweis.

Gustav Lüttge war als Planer im weitesten Sinne Autodidakt. Nach einer Kaufmannslehre, einer Gärtnerlehre, einem Praktikum bei Karl Foerster und seiner Tätigkeit beim Gartenarchitekten Heinrich Wiepking in Berlin machte er sich 1933 in Hamburg selbstständig, ohne ein entsprechendes Studium an einer Hochschule absolviert zu haben.

Was das überlieferte Gesamtwerk Lüttges von anderen Garten- und Landschaftsarchitekten jener Zeit unterscheidet, ist die Tatsache, dass zahlreiche zeitgenössische Photographien erhalten sind. So dokumentierte Lüttges Sohn, der Photograph Thomas Lüttge, in den 1960er-Jahren einen Teil der errichteten Privatgärten seines Vaters. Noch mehr Photographien stammen vom Hamburger Photographen Otto Rheinländer, der für Gustav Lüttge arbeitete und dessen Bilder ebenfalls im Hamburgischen Architekturarchiv gelagert werden. Leider haben sich keine Akten zu den jeweiligen Projekten erhalten und so musste Frank Pieter Hesse vor allem auf Zeitschriftenbeiträge zurückgreifen, in denen über Lüttge und seine Planungen berichtet wurde. Andererseits existiert dessen Tagebuch aus der Zeit 1923–1945, das Auskunft über seinen Lernprozess beim Umgang mit Pflanzen gibt.

Lüttge bezeichnete sich selbst immer als Gartenarchitekt, auch wenn er in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg seine Pläne meist mit der Bezeichnung „Garten- und Landschaftsarchitekt“ versah. Er gehörte nach der Planung für den Alsterpark (Bereich der Ausstellung „Plastik im Freien“) in Hamburg im Rahmen der IGA 53 – sein wohl bekanntestes Werk – zu jenen wenigen Gartenarchitekten, die in und rund um Hamburg für Bankiers, Kaufleute und Reeder deren Privatgärten entwarfen. Die Gestaltung von Privatgärten blieb bis zu seinem Tod das Hauptbeschäftigungsfeld Lüttges.

Das Architektonische und der Kontrast zwischen Gebautem und Vegetation prägt fast alle seine Entwürfe. Er arbeitete mit deutlichen Kanten und asymmetrischen Wege-, Rasen-, Stauden- oder Wasserachsen und somit mit „Gerüsten“, welche dem Menschen eine Struktur geben und die ihn führen sollten, wie Lüttge in einem verschriftlichten Selbstgespräch meinte. Das Coverbild ist daher sehr gut gewählt, da es einen „idealtypischen“ Garten aus dem Atelier Lüttge zeigt (Garten Voss, Hamburg).

Der Schein des „Natürlichen“ wird in seinen Gärten vermieden; sie sollten als „Menschenwerk“ wahrgenommen werden. Lüttge selbst bezieht sich in einem Text aus dem Jahr 1967 auf die Anfang des 20. Jahrhunderts immer lauter werdende Kritik am Landschaftsgarten, der in zu kleine Grundstücke hineingepresst wurde und somit keinen Bezug zum Wohnhaus mehr hatte. Ein sichtbarer und funktionaler Bezug vom wohnlichen Garten zum Haus – in 30 Fällen bezeichnete Lüttge (ab 1931) im Plan oder Text den entsprechenden Garten als „Wohngarten“ – war ihm sehr wichtig. Der Wohngarten war laut seinen eigenen Worten eine „räumliche Fortsetzung der Wohnung“.

Frank Pieter Hesse ist mit dem vorliegenden Buch mehr als eine Werkmonographie gelungen. An dieser „Erweiterung“ beteiligt ist der Abdruck der Schriften Lüttges, die Kommentare von Wegbegleitern und die hervorragend gedruckten Photographien und Pläne, auch wenn man sich bei manchen wünscht, dass sie größer abgebildet worden wären. Doch hätte dies das ohnehin schon dicke Werk noch dicker werden lassen.

Auch wenn Frank Pieter Hesse betont, manche Fragestellungen aufgrund fehlender Quellen nicht beantworten zu können, vermisst man eine tiefergehende Analyse der Zeichentechnik bzw. der Entwurfsphasen Lüttges sowie eine genauere Auflistung, welche Materialien er verwendete und welche Firmen seine Planungen umsetzten.

Hesse betont im Vorwort, dass er die Publikation in erster Linie als „kommentierte Dokumentation“ versteht, „die nicht beansprucht, eine abschließende Einordnung Gustav Lüttges in die Geschichte der modernen Gartenkunst des 20. Jahrhunderts zu leisten.“ Und doch ist sie ein Meilenstein, da ausführliche und leicht zugängliche Publikationen über Gartengestalter respektive Gartenarchitekten jener Zeit (noch) rar sind.

Conclusio: Das vorliegende Buch ist eine sehr ausführliche, sehr gut recherchierte Aufarbeitung zum Gartenarchitekten Gustav Lüttge, der ein leidenschaftlicher und schöpferischer Gärtner war – und eine Messlatte für zukünftige Monographien; ganz im Sinne der „Wiener Erklärung“.

 


Christian Hlavac

 

 

 

Frank Pieter Hesse: „Gärten sollen kein Geschwätz sein.“ Gustav Lüttge. Gartenkunst der Nachkriegsmoderne. Schriftenreihe des Hamburgischen Architekturarchivs, Band 40. 448 Seiten, 640 Abbildungen, Hardcover mit Fadenheftung und Lesebändchen, 21 x 26,8 cm. ISBN 978-3-86218-132-2. Dölling und Galitz Verlag. München 2021



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