Joseph Kyselak und seine Reise 1825

 

Im Sommer 1825 brach der junge Wiener Joseph Kyselak (1799-1831), Registratur-Accessist (Buchhalter) im Hofkammerarchiv, zu einer Wanderung auf, die ihn vier Monate lang durch das heutige Österreich, Bayern und Südtirol führte. Geleitet von romantischer Natursehnsucht, Wissensdurst und seinem weißen Wolfshund Duna, erforschte Kyselak Burgen und Ruinen, suchte nach Sehenswürdigkeiten, wie dem letzten Versteck Andreas Hofers, beschrieb Ortschaften und Landstriche und vollbrachte dabei alpinistische Höchstleistungen, wie die Dachsteingletscherüberquerung. Abenteuerlich war die zu Wasser bewältigte Heimreise nach Wien, interessant die Schilderungen von Menschen, denen er begegnete. Erstmals seit seiner ersten und einzigen Veröffentlichung aus 1829 als "Skizze einer Fußreise durch Oesterreich, Steiermark, Kärnthen, Salzburg, Berchtesgaden, Tirol und Baiern nach Wien" wurde nun das seit langem vergriffene Buch Kyselaks über diese viermonatige Reise ungekürzt publiziert, versehen mit Namens- und Ortsregister. Am Vorsatzblatt der kommentierten Neuauflage ist die "Postkarte von dem Oesterreichischen Kreise" mit seiner Reiseroute 1825 abgedruckt. Kyselaks Buch wurde zur leichteren Lesbarkeit in einigen Bereichen der heutigen Schreibschrift angepasst.

Obwohl seine Erzählung zu den originellsten Werken der Reiseliteratur des österreichischen Biedermeier zählt, war der Grund von Kyselaks Berühmtheit ein anderer: Es war sein Nachname "Kyselak". Auf seinen Wanderungen hatte er sich angewöhnt, seinen Namen in großen Buchstaben aus schwarzer Ölfarbe auf schwer zugänglichen Bergwänden, verfallenen Burgmauern, auf Sockeln oder Felsblöcken zu hinterlassen - 18 dieser Signaturen existieren noch heute, weitere sechs sind in Gemälden der Zeit sichtbar und viele weitere aus zeitgenössischen Beschreibungen ableitbar. Alle derzeit in Österreich bekannten Schriftzüge sind im vorliegenden Werk in der umfassenden Einleitung abgebildet. Zwischen 1825 und 1829 unternahm Kyselak weitere Reisen in die Nachbarländer wie z.B. Böhmen und Mähren. Auch hier hinterließ er seine "Schreibspur".

Kyselak war nicht der erste "Autogrammist" in Europa: Die beiden Herausgeber geben Beispiele von anderen bekannten Persönlichkeiten (z.B. Leopold Mozart und Lord Byron) die ihre Autogramme oder auch Gedichte auf und in Gebäuden hinterlassen haben.

Kyselaks Reisebeschreibung wurde und wird - so der Verweis der Herausgeber auf die Literaturbeiträge über Kyselak - für unterschiedliche historische Interessensgebiete herangezogen. Kyselak liefert nicht nur für zahlreiche Ortschaften die früheste touristische Beschreibung bzw. genaue Details für die Burgen- und Ruinenkunde, er berichtet auch über Menschen in ihrem - oft ärmlichen - Alltag und beschreibt alltägliche (bäuerliche) Handlungen, die er beim Wandern beobachtet. Er gibt mit seinen Schilderungen einen zeitdokumentarischen Einblick in die Lebensumstände Anfang des 19. Jahrhunderts, die mitunter durchaus trist waren. Fremde wurden nicht immer mit offenen Armen empfangen. Kyselak verknüpft in seinen Schilderungen sachliche Informationen mit persönlichen Eindrücken, schreibt hier schwärmerisch, dort wieder kühl und sarkastisch. Aus heutiger Sicht bemerkenswert sind seine mehrmaligen Hinweise (S. 138, S. 143 und S. 151) auf die schädlichen Folgen von Abholzungen. Einigen Sehenswürdigkeiten widmet er mehrere Seiten: So z.B. dem Salzbergwerk Dürrnberg (Hallstatt), dem Sandwirt im Passaiertal und der Gartenanlage Hellbrunn (Salzburg).

Die 44-seitige Einleitung versammelt die Resultate der zweijährigen wissenschaftlichen Beschäftigung der Kunsthistorikerin Gabriele Goffriller und des Filmregisseurs Chico Klein mit Joseph Kyselak. Nach aktuellem Forschungsstand wird das relativ kurze Leben des Beamten geschildert, verbliebene Namenszüge lokalisiert und die Rezeption des Kyselak´schen Schaffens der vergangenen 185 Jahre dargelegt und verschieden gedeutet.

Die Herausgeber gehen auch der Frage nach dem Warum nach. Ihre Einschätzung: Die Auffälligkeit ist die Selbstverständlichkeit, mit der Kyselak signiert und dichtet, und die Beiläufigkeit, mit der er selbst davon erzählt. Auffällig ist jedenfalls die Gestaltung seiner Signatur in einer großen und einprägsamen Schrift mit Serifen: "Der Vergleich mit seiner in der Korrespondenz eingesetzten Unterschrift macht deutlich, dass Kyselak eine spezifische Form gewählt hatte - wir würden sie heute als Logo oder Bildmarke bezeichnen -, die Graffiti-Szene nennt diese Signaturen 'tags'." (Einleitung, S. 34).

Bald nach seinem Tod setzte die Herausbildung einer Rezeptionsgeschichte über Kyselak ein. So soll vor 1849 ein Astronom versichert haben, er habe durch ein Teleskop auf dem Mond den Schriftzug Kyselaks entdeckt. Er erreichte mit seiner Marotte eines: Er wurde schon zu Lebzeiten berühmt. Auch wenn er seine Berühmtheit manch spöttisch klingendem Gedichte verdankt: "Schwindlig ob des Abgrunds Schauer / Ragt des höchsten Giebels Zack / Und am höchsten Saum der Mauer / Prangt der Name Kyselak". Mit dem vorliegenden, gelungenen Werk wird die Bekanntheit von Joseph Kyselak im 21. Jahrhundert fortgesetzt.

Christian Hlavac

 

Joseph Kyselak: Skizzen einer Fußreise durch Österreich. Herausgegeben von Gabriele Goffriller und mit einem Vorwort von Gabriele Goffriller und Chico Klein. Verlag Jung und Jung. Salzburg 2009. 480 Seiten. Gebunden. ISBN 978-3-902497-52-9. EUR 29,90, sFr 49,90



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