Landschaft und Gedächtnis

 

 

Wie geht die Gesellschaft mit Orten des Schreckens, mit Orten des gewaltsamen Todes um? Gedenkstätten und Friedhöfe, die an Schreckensherrschaften erinnern sollen, können und müssen, sind - wie es Annegreth Dietze-Schirdewahn und Ola Bettum in ihrem Beitrag auf den Punkt bringen - ausdrucksstarke Orte, mit deren Gestaltung sich die Landschaftsarchitektur zu befassen hat. Der besondere Charakter der Gedenkstätten für die Opfer aus der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges "beinhaltet eine Intensität der Erinnerungskultur, die das Nachdenken über wichtige Werte unserer Zivilisation befördern helfen kann. Allerdings erfordert die Gestaltung solcher Gedenkstätten besondere Sensibilität und besonderes Wissen um die Geschichte." Um landschaftsarchitektonisch Antworten auf die Fragen nach dem Warum, Woher und Wohin geben zu können, braucht es eine die Professionsgrenzen überschreitende Herangehensweise. Diese wurde im vorliegenden Werk von den Herausgebern eingesetzt, um nicht eindimensional ein in manchen europäischen Ländern noch immer heikles Thema anzusprechen. Festgehalten kann werden, dass international die Frage nach dem Erhalt der Relikte nationalsozialistischer Lager in den letzten zehn Jahren zunehmend in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt ist. Es wurden und werden etliche Gedenkstätten landschaftlich neu gestaltet. Die Herausforderung besteht dabei, die Aufgaben von (NS-)Gedenkstätten räumlich zu unterstützen. Diese sind - so die deutsche Bundesregierung 1998: das Gedenken an die Opfer zu bewahren, Dokumentation und Forschung sowie Bildung und Aufklärung zu betreiben. Manche dieser Gedenkstätten - wie zum Beispiel Bergen-Belsen in Deutschland - sind gleichzeitig auch Friedhöfe, die gepflegt und/oder gestaltet werden müssen.

 

 

Im Buch wird der jeweilige, über mehrere Jahre laufende Prozess eines neuen landschaftlichen Umgangs mit den einstigen Konzentrationslagern Bergen-Belsen (Deutschland), Esterwegen (Deutschland), Majdanek-Lublin (Polen) und dem ehemaligen Gefangenenlager Falstad (Norwegen) dargestellt, wobei der jeweilige Beitrag zur Landschaftsarchitektur eingebettet wurde in historisch-rezeptive Texte. Ohne erhobenen Zeigefinger, nicht belehrend, aber engagiert wird die Geschichte der vier NS-Lager erörtert. Durch die Texte zieht sich der rote Faden, wie Landschaftsarchitektur solche Un-Kultur-Landschaften heute entschlüsseln und für die breite Bevölkerung lesbar machen kann. Vor allem in jenen Fällen - hier gehören die KZs Bergen-Belsen und Esterwegen dazu -, wo an der Oberfläche keine oder nur mehr wenige Gebäude, Wachtürme, Zäune etc. an diese Stätten erinnern. Welche Materialien, welche Pflanzen, welche Wegestrukturen, welche neuen Einrichtungen sollen verwendet werden? Deutlich werden die verschiedenen Ansätze im Beitrag von Klaus Heinzel, der acht von 156 (!) Wettbewerbseinreichungen für die Landschaftsgestaltung des Geländes des KZ Bergen-Belsen in Bild und Text vorgestellt. Aufbauend auf den prämierten Arbeiten wurde 2005 ein "Masterplan Landschaftsgestaltung Gedenkstätte Bergen-Belsen" erstellt, der ab 2007 bis heute schrittweise umgesetzt wird. Gerade das in diesem Buch durch mehrere Beiträge gut dokumentierte Beispiel Bergen-Belsen zeigt, dass für die Landschaftsgestaltung dieser Gedenkstätten ein breiter inhaltlicher Zugang sowie ein offener Dialog - auch wenn er einen langen Zeitraum einnimmt - notwendig und sinnvoll ist.

 

 

 

 

Christian Hlavac

 

 

 

 

 

 

Wilfried Wiedemann, Joachim Wolschke-Bulmahn (Hrsg.):

Landschaft und Gedächtnis. Bergen-Belsen, Esterwegen, Falstad, Majdanek.

Martin Meidenbauer Verlag. München 2011. 236 Seiten. ISBN 978-3-89975-268-7. EUR 66,90.



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