Stourhead Garden

   

Der seit 1946 im Besitz des National Trust stehende Stourhead Garden in der Grafschaft Wiltshire gilt als einer der englischen Landschaftsgärten. Die Popularität des Gartens begründet sich durch den scheinbar originalen Zustand, durch seine berühmte Ansicht im Eingangsbereich und das scheinbar stimmige Gartenprogramm. Er wurde maßgeblich von zwei Personen gestaltet: dem Londoner Bankier Henry Hoare (1704-1785), der seine Ideen von 1742 an bis kurz vor seinem Tod umsetzte, und seinem Erben Richard Colt Hoare (1758-1838), der den Garten ab 1784 markant umgestaltete, in dem er im Sinne einer Bereinigung einige aus seiner Sicht störende Gartenelemente entfernte - und ein paar neue hinzufügte. Auch die Bepflanzung mit exotischen Gehölzen (inklusive Rhododendron) geht auf ihn zurück.

Das vorliegende Buch, welches auf einer 2018 abgeschlossenen Dissertation basiert, gliedert sich in fünf Teile: Da die Entstehung und Ausdifferenzierung des Landschaftsgartens in England nicht nur auf die Ästhetik reduziert werden soll und darf, widmet sich die Kunsthistorikerin Tomke Schäfer-Stöckert zuerst den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen im England des 18. Jahrhunderts. Im zweiten Teil geht es um die Baugeschichte des Gartens bis 1784, wobei sich die Autorin auf die wenigen erhaltenen Briefe, Rechnungsbücher und Bauzeichnungen beziehen kann. Sie bespricht die auffällige Stilpluralität und lotet die Möglichkeit eines Gartenprogramms aus. Im folgenden Teil wird die Rezeption der Gartenelemente von Stourhead Garden in der Gartenliteratur und den Bildwerken des 18. Jahrhunderts untersucht. Der vierte Teil widmet sich jener Zeit, in der Richard Colt Hoare den Garten umgestaltete und in der den Besuchern erstmals eine Lesart des Gartens angeboten bzw. vorgegeben wurde. Der letzte Teil untersucht die Fachliteratur des 20. und 21. Jahrhunderts auf die Deutung von Stourhead Garden hin.

Das grundlegende Problem bei der Erforschung der Gartengeschichte und der kunsthistorischen Betrachtung dieses Gartens ist das Fehlen eines Gartenführers aus dessen Gründungszeit. Erst im Jahr 1800 publizierte Richard Colt Hoare den ersten offiziellen Führer durch diese Anlage, die seit Anfang an öffentlich zugänglich war.

Wenn man sich mit der Literatur über Stourhead Garden aus dem 20. und 21. Jahrhundert beschäftigt, wird rasch der mögliche Zusammenhang mit Vergils Aeneis (29–19 v. Chr.) sichtbar: Hoare habe als Begründer und Gestalter dieses Gartens bewusst mittels entsprechender Hinweise auf dieses Werk angespielt. Die Autorin kann nach genauem Quellenstudium hingegen gut nachvollziehbar darlegen, dass im 18. Jahrhundert kein Hinweis auf Vergils Aeneis, den Hauptakteur Aeneas oder Troja gegeben wird. Daher stellt sich für Tomke Schäfer-Stöckert die zentrale Frage, wie diese "Wahrnehmungsdiskrepanz" zwischen der Betrachtungsweise zu Henry Hoares Lebzeiten und den Analysen aus heutiger Zeit zu erklären ist und wann mit einer ikonographischen Ausdeutung bzw. der Idee eines Gesamtprogrammes begonnen wurde. Jedenfalls wird nach Durchsicht der Gartenbeschreibungen deutlich, dass bis zum Jahr 1800 nie von einem Gartenprogramm die Rede ist. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass erst Richard Colt Hoare einen durchgängigen Weg um den Großen See anlegte und somit eine Lesart für die Besucher vorgab. Er versuchte, dem Garten eine einheitliche Programmatik zu geben.

Das Erscheinen des Aufsatzes "Henry Hoare´s Paradise" (1965) von Kenneth Woodbridge stellt laut Autorin eine Zäsur dar, da hier erstmals eine auf ein Gesamtprogramm abgestimmte Darstellung des Gartens angeboten wird, die sich – ein wenig gewandelt – bis heute im offiziellen Gartenführer findet und die viele Jahrzehnte die (kunsthistorische) Sicht auf den Garten prägte: Hoare habe sich – wie schon erwähnt – bei der Ausgestaltung des Gartens auf Vergils Aeneis bezogen und einige Stationen des Lebens- und Leidensweges von Aeneas visuell im eigenen Garten dargestellt. Anhaltspunkte für Woodbridge waren eine erst von Richard Colt Hoare angebrachte Inschrift aus Vergils Werk (Procul, o procul este profani) am Ceres-Tempel und eine Ähnlichkeit der sogenannten Eingangsvedute mit einem Gemälde von Lorrain. Über die Jahrzehnte wurde dieser Ansatz kaum kritisch hinterfragt. Er beruht – so zeigt die Autorin - auf dem Weglassen bestimmter Gartenelemente und Inschriften. Nur so konnten Woodbridge und zahlreiche seiner Nachfolger ein scheinbar stimmiges, rein auf die Klassik bezogenes Programm erstellen. Diese Selektion erweist sich - hier ist der Autorin zuzustimmen - als bedenklich und problematisch, denn in Folge wurden "Argumente zu Tatsachen, Thesen erlangten Allgemeingültigkeit" (S. 305). Die Autorin will mit ihrem Werk dahingehend sensibilisieren, dass man bei der Deutung eines Gartens auch zu keinen Ergebnissen kommen kann. Man könnte auch sagen, sie ruft im Sinne einer "Begrenzung einer Erwartungshaltung" zum "Mut zur Lücke" auf.

Mit der Jahrtausendwende hat sich laut Tomke Schäfer-Stöckert die Rezeption dieses Landschaftsgartens jedoch spürbar verändert: Die Vielfalt im Garten wird betont, historische Berichte werden einbezogen und der Wunsch nach einem festgelegten Rundgang aufgegeben.

Die Autorin stützt sich - da es wenige Quellen aus dem direkten Umfeld der Hoares gibt - vor allem auf die Beschreibungen von Gartenbesuchern des 18. und 19. Jahrhunderts und zeigt, wie der Garten zu Zeiten der beiden Gestalter Henry und Richard auf die Besucher wirkte. Sie kann mit guten Argumenten begründen, dass der Autodidakt Henry Hoare den Garten über drei Jahrzehnte ohne festgelegten Entwurf bzw. Plan nach seinen Ideen erschuf, wobei ihn der Architekt Henry Flitcroft (bis zu dessen Tod 1769) beriet. Tomke Schäfer-Stöckert sieht Henry Hoare nicht als "gereifte Künstlerpersönlichkeit", sondern eher als "follower of fashion", der mit "taste" an seine Gestaltungsaufgabe(n) heranging. Zu seiner Zeit - so wird deutlich - war Stourhead Garden kein Landschaftsgarten mit ausschließlichen Verweisen auf die Antike, sondern eine von Stilpluralismus geprägte Ansammlung von Ideen bzw. Gebäuden, die eindeutig auch auf die Gotik, fernöstliche und maurische Stile Bezug nahm. Ebenfalls auffällig ist, dass sich in Henry Hoares Briefen kein Hinweis auf den damaligen Diskurs über Gartenkunst findet.

Über die Bepflanzung und deren Wandel im Laufe der Zeit erfährt man im vorliegenden Buch nur sporadisch etwas, obwohl diese ebenfalls eine starke Auswirkung auf die Eindrücke und das Erlebnis der Besucher gehabt haben wird. Auch die Tatsache, dass der Große See mit einer Fläche von 7,3 Hektar erst durch das Aufstauen des kleinen Flusses Stour entstand, wird zu kurz abgehandelt. Denn auch in diesem Garten fokussiert sich die damalige Diskussion über die Natürlichkeit des Landschaftsgartens im Gegensatz zum architektonisch-formalen, barocken Garten. Wie weit der Landschaftsgarten die realen Verhältnisse ausblendete, zeigen eben die aufwendigen Ausgrabungen und Aufschüttungen: Der Große See sollte wie von Natur gestaltet wirken, war jedoch in Wirklichkeit ein menschliches Gebilde.

Leider fehlt im Buch ein (aktueller) guter Übersichtsplan, der das Nachvollziehen vieler Ausführungen der Autorin etwas erleichtern würde. Ebenfalls vermisst man ein Personenregister. Das Fehlen eines solchen erschwert den Rückbezug zu anderen Kapiteltexten. Soll heißen: Wer sich keine Notizen im Buch oder extern gemacht hat, muss viel blättern und suchen.

Die Stärke des Buches liegt vor allem im Grundsätzlichen: Tomke Schäfer-Stöckert erschüttert - ohne dies explizit zu sagen oder zu wollen - die Grundpfeiler der Geschichtsschreibung über Stourhead Garden und indirekt über den "englischen Landschaftsgarten" in seiner idealtypischen Ausprägung, die niemals existierte, die es uns aber erleichtert, Komplexität zu reduzieren. Ein zweite wichtige Erkenntnis: Nicht Henrys Gestaltung spiegelt sich heute vor Ort wider, sondern die Version seines Enkels.

Das Plädoyer der Autorin lautet am Schluss: Je größer der Verzicht auf eine differenzierte Quellenanalyse ist, umso mehr Möglichkeiten zur Interpretation ergeben sich, bis hin zum freien Assoziieren. Eine Kennerschaft der Erbauungsgeschichte ist deshalb ganz allgemein für Gärten mit markantem Besitzerwechsel und ohne (historischen) Gartenführer unabdingbar.

Am Schluss könnte man als inhaltliche Conclusio die für Gartenhistorikerinnen und Gartenhistoriker ketzerische Frage stellen: Sollen wir den heutigen Besuchern nicht einfach freistellen, nach dem Besuch des Gartens eine eigene Meinung zu haben? Sollen und müssen wir das individuelle Empfinden wieder ernster nehmen und zur eigenen Mündigkeit aufrufen?

Fazit nach dem Lesen des Buches: Man - dies gilt auch für den Autor dieser Zeilen - darf und muss die kunsthistorische, ästhetische Sicht auf Stourhead Garden deutlich ändern. Oder anders gesagt: Was kann der Autorin Besseres passieren, als Denkanstöße zu liefern und die Forschung zu bereichern …

Christian Hlavac

 

 

Tomke Schäfer-Stöckert:

Der Garten zu Stourhead zwischen Präsentation und Interpretation (1742–2012). Verlag VDG. Ilmtal-Weinstraße 2020. 320 Seiten, 21 × 26,5 cm, 150 Abbildungen, davon 87 in Farbe, Hardcover. ISBN 978-3-89739-940-2, EUR 68,- [D]

 

 

 

 



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