Unter der GrasNarbe

Unter der GrasNarbe

 

Aufbauend auf der Aussage von Norbert Huse, der 1997 die "Erblasten des Dritten Reiches" als "unbequeme Bauobjekte" bezeichnete, die "an Tatsachen erinnern, die es besser nicht gäbe", wurde im März 2014 in Hannover eine Tagung über Freiraumgestaltungen in Deutschland (mit Fokus Niedersachsen) während der NS-Diktatur als denkmalpflegerische Herausforderung veranstaltet. Dabei wurde deutlich, dass in Niedersachsen in der Vergangenheit sehr wohl Objekte der NS-Diktatur auf der Basis des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes ausgewiesen wurden, doch bis heute keine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dieser baulichen Hinterlassenschaft erfolgte.

Nun liegt der Tagungsband unter dem mehrdeutigen Titel "Unter der GrasNarbe" vor. Er bezieht sich auf die Tatsache, dass im wahrsten Sinne des Wortes zunehmend Gras über die baulichen und grünplanerischen Hinterlassenschaften der NS-Diktatur wächst. Häufig zeugen nur noch Überreste von diesen Kulissen für die - in den meisten Fällen überdimensionalen - Masseninszenierungen der Nationalsozialisten. In der Tagung und den Buchbeiträgen wurde bzw. wird die zentrale Frage gestellt und anhand von konkreten Beispiel beantwortet, wie sich diese Hinterlassenschaft heute darstellen und welche dieser Objekte im Sinn von Denkmalschutz und Denkmalpflege erhaltenswert sind.

Der geographische Schwerpunkt des Sammelbandes liegt auf Orten und Freiräumen in Niedersachsen, wie dem Bückeberg als Ort der "Reichserntedankfeste", dem Sachsenhain bei Verde und zahlreichen Thing-, Weihe- und Festspielstätten. Aber auch andere "Un-Orte" in Deutschland, wie der "Dachauer Kräutergarten" - eine 80 Hektar große Produktions- und Versuchsanlage der SS für Heil- und Gewürzkräuter als Teil des KZ Dachau - oder die auf die rassistischen Publikationen von Reinhold Tüxen basierende pflanzensoziologische Einbettung der Autobahnen in die Landschaft ("feine Fühlung des Geländes und edle Linienführung in deutscher Landschaft", Erna Lendvai-Dircksen in "Reichsautobahn. Mensch und Werk", 1942) werden analysiert. Die Frage dahinter: Was ist an Denkmalwertem - auch unter der Grasnarbe - verblieben und beachtenswert. Oder wie es Georg Maybaum in seinem Beitrag formuliert: bedenkenswert.

In vielen Beiträgen der Publikation wird deutlich, wie die Begriffe "Landschaft", "Natur" und "Kultur" germanisch-rassistisch aufgeladen wurden, wobei in zahlreichen Fällen damalige Wissenschaftler nicht vor Erfindungen und unwissenschaftlicher Beweisführungen zurückschreckten, um das historisch begründete Gerüst einer "deutschen Landschaft" vor einem argumentatorischen Einsturz zu schützen.

Die Beiträge sind in Summe betrachtet sehr heterogen. Daraus folgt auch, dass eine für alle Orte gültige denkmalpflegerische Antwort weder möglich, noch gewünscht werden kann. Die Texte sowie die zeitgenössischen und aktuellen Photographien und Pläne geben eine Ahnung von der Anzahl der noch erhaltenen NS-Freiraum-Orte und regen zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema an. Sie zeigen auch, dass diese Orte trotz Unterschutzstellung aufgrund ihrer wissenschaftlich-historischen Relevanz zu Irritationen bei den Anwohnern führen. Und so kreist alles um die gesellschaftspolitisch immer wieder zu stellende und zu beantwortende denkmalpflegerische Frage: Warum diese Freiraumgestaltungen erhalten werden sollen.

 

Christian Hlavac

 

 

 

 

 

Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege: Unter der GrasNarbe.

Freiraumgestaltungen in Niedersachsen während der NS-Diktatur als denkmalpflegerisches Thema.

Dokumentation der Tagung vom 26.-29. März 2014 in Hannover. Rainer Schomann, Michael Heinrich Schormann, Joachim Wolschke-Bulmahn, Stefan Winghart (Hrsg.), Michael Imhof Verlag. Petersberg 2015. 256 Seiten, 204 Farb- und 78 s/w-Abbildungen, gebunden. ISBN 978-3-7319-0279-9. EUR 51,35 [A], EUR 49,95 [D], SFr 57,40



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